Lobbyist Jeff Klein über Antirassismus: "Es darf gern auch mehr weh tun"

Jeff Klein (Bild: Nicole Volc)

Afrodeutsch

Ein Interview unserer Reihe "Radikal jung" von Thembi Wolf

Im Berliner Wedding, zwischen Afroshops und türkischen Gemüseläden, im Souterrain einer Kirche, liegt das Büro von Jeff Klein. Ein kleiner Schreibtisch, ein großes Sofa und Regale voller Bücher.

Die letzten Monate ist Jeff, 32, zwischen hier und Brüssel gependelt. Er hat Jesse Jackson, eine Ikone der US-Bürgerrechtsbewegung nach Auschwitz begleitet und leitet gleichzeitig Selbstermutigungs-Jugendgruppen für schwarze Teenager im Berliner Wedding. 

Jeff ist Lobbyist für Antirassismus. Er berät EU-Gremien, Politikerinnen und Aktivisten. Zuvor war er Bibliothekar in der Berliner Bibliothek "Each One Teach One", die ausschließlich Bücher schwarzer Menschen verleiht.

Radikal jung

Klimawandel, Generationengerechtigkeit, Migration: Es gibt große Themen, an denen sich entscheidet, wie unsere Gesellschaft aussehen wird. Und es gibt junge Menschen, die sich engagieren, in der Politik, im Ehrenamt, als Aktivisten. Wir fragen sie, was sie antreibt, was sie anders machen als ihre Vorgänger – und was an ihnen radikal ist. 

Mit bento spricht Jeff Klein darüber, wie er gelernt hat, zu seinem Schwarzsein zu stehen. Und wie sein Verein mit einem "Afrozensus" das schwarze Deutschland vermessen will.

bento: Worin bist du radikal?

Jeff: In meinem Schwarzsein. Heute stehe ich dazu, was ich bin – ohne mich dafür zu entschuldigen.

bento: Das war früher anders?

Jeff: Ja. Ich habe zum Beispiel darauf geachtet sehr deutlich zu sprechen und mich besonders eloquent auszudrücken, als ob ich etwas beweisen müsste. Oder ich habe mit einer höheren Stimme gesprochen, um nicht bedrohlich zu wirken. Bei rassistischen Aussagen bin ich still geblieben und habe die Verletzungen mit mir selbst ausgemacht – statt mit der Person, von der sie kam. In diesen Situationen habe ich es meinem weißen Umfeld leicht gemacht.

Was bedeutet schwarz und weiß?

Der Begriff "schwarz" ist in diesem Text eine Selbstbezeichnung und Teil der Identität, keine Beschreibung der tatsächlichen Hautfarbe. Auch der Begriff "weiß" bezeichnet keine biologische "Rasse" oder tatsächliche Farbe, sondern eine soziale Position.

bento: Du bist politischer Lobbyist. Könnte man Rassismus in Deutschland nicht endlich per Gesetz verbieten?

Jeff: Nein. Es gibt bereits viele Gesetze, die die Rechte von schwarzen Menschen, von Roma und Sinti, von jüdischen und muslimischen Menschen schützen, sie werden nur nicht umgesetzt. Das Europaparlament hat die Nationalstaaten im März aufgerufen, nationale Aktionspläne gegen antischwarzen Rassismus aufzustellen. Bisher ist da aber nicht viel passiert. (Resolution im Europaparlament)

bento: Einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus gibt es aber.

Jeff: Ja, aber nicht gegen antischwarzen Rassimus. Es ist wichtig, darauf zu bestehen, dass diese spezielle Form von Rassismus gesehen wird. Antischwarzer Rassimus ist sehr körperbezogen: Angeblich können Schwarze schnell laufen und hoch springen und man nahm und nimmt sich das Recht, über ihre Körper zu verfügen, durch Sexualisierung oder Versklavung. Die Ursache liegt im europäischen – auch deutschen – Kolonialismus. Auf der Straße sind schwarze Menschen viel sichtbarer als andere Minderheiten, das macht uns maximal verletzlich.

 bento: Jeder vierte Deutsche hat Migrationshintergrund, aber nur etwa 400.000 Menschen, also 0,6 Prozent der Bevölkerung, sind schwarz, schätzt die "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland". Ist es sinnvoll, da auf einen eigenen Rassismusbegriff zu bestehen?

Jeff: Es gibt Schätzungen, die von 800.000 bis 1,2 Millionen ausgehen. Aber eine gute Demokratie zeigt sich darin, wie gut sie Minderheiten Rechte gewährt. Deren Größe ist da erst einmal belanglos. In England gibt es eine große, seit Jahren wachsende schwarze Bevölkerung. Trotzdem sickern sie nicht automatisch in gesellschaftlich zentrale Positionen. Und schwarze Briten sind häufiger von schlechter Bildung und Arbeitslosigkeit betroffen als andere Bevölkerungsschichten.

bento: Wie ist das in Deutschland?

Jeff: Da gibt es keine Zahlen, das ist das Problem und eine unserer großen Forderungen: Wir wollen sogenannte Gleichstellungsdaten. Damit wir eben nicht nur unsere individuellen Erfahrungen haben, sondern Zahlen, die das schwarz auf weiß zeigen.

bento: Es gibt aber auch gute Gründe, die gegen solche Volkszählungen von Minderheiten sprechen. Gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte.

Jeff: Ja, man will keine Statistik darüber, wie viele Juden es gibt und wo sie wohnen. Aber bei Gleichstellungsdaten geht es nicht darum, zu erfassen: Das ist Jeff, der wohnt im Wedding und ist ein schwarzer Mann. Es geht um Teilhabe an gesellschaftlichen Gütern wie Bildung und dem Arbeitsmarkt. Wir sind gerade dabei, einen "Afrozensus" zu erheben.

bento: Heißt das echt so?

Jeff: Ja (lacht), da sind wir ganz straight. Wir gehen zu schwarzen Communities in Deutschland und erfassen anhand eines Fragebogens Rassismuserfahrungen – aber auch persönliche Informationen. Die Finanzierung kommt von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

bento: Im Zensus wird bereits der Migrationshintergrund erhoben. Dafür allein braucht es 19 Fragen. Wie erhebt ihr, wer schwarz ist?

Jeff: Das werden Selbstangaben sein. In der Ansprache sagen wir: Menschen afrikanischer Herkunft, schwarze, afrodiasporische und afrikanische Menschen. Das wird aber eine Herausforderung, weil es nicht immer leicht ist, das zu filtern. Wenn beispielsweise weiße Menschen antworten...

bento: ...die afrikanisch im Herzen sind?

Jeff: Ja. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse. Wir vermuten, schwarze Menschen sind gerade die jüngste demographische Gruppe in Deutschland – und eine der am schnellsten wachsenden.

bento: Ist es nicht absurd, die alle unter einem Begriff sammeln zu wollen? Jemand der zum Studieren aus Ghana kam, hat sicher andere Bedürfnisse als ein Flüchtling aus Simbabwe.

Jeff: Auf jeden Fall. Aber die Forderungen ähneln sich. Was wir wollen, haben schwarze Aktivistinnen schon vor 40 Jahren gefordert. Sogar zur Kolonialzeit gab es schwarze Menschen in Deutschland, die Gleichberechtigung verlangten.

bento: Viele Forderungen sind aus den USA übernommen. Du kritisierst zum Beispiel institutionelle Diskriminierung in der Bildung. In den USA ist die offensichtlich: Es gibt segregierte Privatschulen und teure Unis. In Deutschland haben Schulen ein Einzugsgebiet und Bildung ist kostenlos.

Jeff: Es geht nicht immer ums Geld. In NRW, wo ich herkomme, wird nach der vierten Klasse entschieden, auf welche weiterführende Schule Kinder kommen. Den Lehrerinnen und Lehrern wird viel Macht gegeben und Studien zeigen immer wieder, dass weiße Lehrerinnen und Lehrer an schwarze und Schülerinnen und Schüler of Color seltener Gymnasialmpfehlungen aussprechen. Das war bei mir auch so.

bento: Du hattest keine Empfehlung?

Jeff: Genau, obwohl ich die Noten hatte. Nur weil meine Mutter – die Arbeiterin ist – Druck machte, hat die Lehrerin ihre Entscheidung revidiert.

bento: Wie sollten wir als Gesellschaft institutionellem Rassismus begegnen? Angenommen eine Grundschullehrerin hat jahrzehntelang schwarzen Kindern die Gymnasialempfehlung verwehrt. Bekommt sie ein Antirassismustraining – oder sollte sie verklagt werden?

Jeff: Ich finde, der Rechtsweg sollte zugänglicher gemacht werden. Aber nicht jede Lehrerin, die unbewusste Vorurteile hat, muss verklagt werden. Die Frage ist: Wenn die Lehrerin das über zehn Jahre macht, ist sie noch qualifiziert für den Job? Das sollte zur Disposition stehen. Mit einem Antirassismusworkshop wäre das aber sicher nicht getan.

bento: Eine weitere Frage zum Umgang mit Rassismus: Noah Becker bekam 7500 Euro von einem AfD-Politiker zugesprochen, der ihn rassistisch beleidigt hatte. Sollte Rassismus Geld kosten?

Jeff: Ich finde es gut, dass dabei eine Geldstrafe rumgekommen ist und dass es gespendet wurde. Weniger dürfte es definitiv nicht sein, es darf gern auch mehr weh tun.

bento: Hätte er sich auch einfach entschuldigen können?

Jeff: Das ist der erste Schritt, oder?

bento: Muss es eine Fehlerkultur für Rassismus geben – oder lieber harte Strafen?

Jeff: Schwierige Frage. Eine Fehlerkultur ist mit viel Schmerz für Betroffene verbunden. Es würde aber guttun, wenn nicht alle gleich diesem deutschen Impuls nachgeben, sich reinzuwaschen. Am Anfang steht die Selbsterkenntnis, dann reden wir darüber, woher die rassistische Einstellung kommt – und wie wir sie abbauen.

Source:bento