Corona-Impfstoff: Wird sie schnell genug sein?

Prof. Dr. Marylyn Addo receiving the African Community Prize from Edward Martin -TopAfric

Afrodeutsch

Das leuchtend gelbe Schild an der Glastür mahnt zur Vorsicht: "S2" – Sicherheitsstufe zwei. Marylyn Addo, eine zierliche Frau mit dunklen Haaren und wachen Augen, öffnet die Tür des Genlabors. Sie ist Spezialistin für neu auftretende Infektionen am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Labortische reihen sich hier aneinander, darauf Mikroskope und Computer zwischen Plastikbehältern, Desinfektionsmitteln und braunen Flaschen. Nur mit weißem Kittel und Latexhandschuhen darf man diesen Raum betreten. Addo deutet auf einen gläsernen Kasten, das Herzstück des Labors: eine sterile Werkbank mit Belüftungssystem. Dort will die Medizinerin schon bald das Blut ihrer Probanden auf Antikörper untersuchen. Antikörper gegen das Virus, das die Welt derzeit in Atem hält: das Coronavirus Sars-CoV-2.
dr addo2Prof. Dr. Marylyn Addo -Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Das Bernhard-Nocht-Institut gehört zu den europaweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Tropenmedizin. Mit ihrem Team hat Addo hier bereits Impfstoffkandidaten gegen Ebola und die Lungeninfektion Mers getestet. Bis ein Impfstoff am Ende zum Einsatz kommt, vergehen oft Jahre, manchmal Jahrzehnte. Angesichts des sich ausbreitenden Coronavirus soll der Prozess nun beschleunigt werden. Deshalb bereitet Addo schon jetzt jene Phase vor, die eigentlich am Ende eines langen Weges mit vielen Stationen steht: den Test am Menschen.

Ende 2019 meldete China der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Häufung von Lungenentzündungen unklarer Ursache aus Wuhan. Eine Woche später identifizierten Forscher ein neuartiges Virus als Ursache: Sie nannten es 2019-nCov. Es gehört zur Gruppe der Coronaviren. Mittlerweile ist es als Sars-CoV-2 bekannt (CoV steht für Coronavirus, Sars für eine Atemwegserkrankung, die durch einen ähnlichen Erreger ausgelöst wird).

Sars-CoV-2 könnte sich von einem Lebensmittelmarkt in Wuhan aus verbreitet haben. Dort wurden auch exotische Tiere wie Reptilien verkauft. Die Lungenkrankheit, die das neue Virus auslösen kann, wird mittlerweile als Covid-19 (Englisch für Coronavirus disease; Coronaviruskrankheit) bezeichnete. Die Erkrankung ist eine sogenannte Zoonose – eine Seuche durch einen Erreger aus dem Tierreich. Teile des Virenerbguts von Sars-CoV-2 gleichen Erregern, die Fledermäuse befallen. Das neue Virus könnte über einen noch unbekannten Zwischenwirt auf Menschen übertragen worden sein.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem schon jetzt klar ist, dass Addo die erste Runde verlieren wird. Für die aktuelle Erkrankungswelle kommt der Impfstoff zu spät. Die Viren sind schneller.

Es ist der 1. Januar 2020, als die Medizinerin eine E-Mail in ihrem Postfach findet, die sie über ein neuartiges Virus aus Wuhan informiert. Von Hamburg aus verfolgt sie die Meldungen, hört, dass Forscher die genetische Information bereits kurz nach dem Ausbruch entschlüsselt und veröffentlicht haben. Experten, Gesundheitsbehörden und Pharmafirmen auf der ganzen Welt machen sich ans Werk. Forschungsteams beginnen mit der Entwicklung eines Impfstoffes. Mit dabei: Addo und ihre Kollegen.

Bis sie das Blut ihrer Probanden auf Antikörper gegen das Virus untersuchen kann, ist es noch ein langer Weg. Konzentriert erklärt Addo die Schritte der Impfstoffentwicklung: Zurzeit wird das Erbgut des Virus in einem Münchner Labor nachgebaut und vermehrt. Finden die Forscher einen Impfstoffkandidaten, wird dieser an Mäusen oder Affen getestet. Die Forscher prüfen, ob Antikörper das Virus hemmen und ob der Impfstoff auch vor einer Ansteckung schützt. Im positiven Fall wird er in größeren Mengen produziert.

Erst wenn dieser Schritt ohne Komplikationen verläuft, kann Addo den Impfstoff an freiwilligen Probanden testen. Addo bereitet ihr Labor bereits jetzt darauf vor, kontrolliert Geräte, bestellt Reagenzien und kurbelt das bürokratisch aufwendige und langwierige Zulassungsverfahren an: Abends, wenn ihre beiden Kinder schlafen, schreibt sie die Anträge. Addo ist nicht die Einzige, die dann noch arbeitet: "Wenn ich nachts um zwei Uhr den Antrag abschicke, bekomme ich eine Stunde später eine E-Mail zurück."

Sie muss weiter, zum nächsten Termin ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dort leitet sie die Infektiologie. Würde das Virus nach Deutschland kommen, wäre Addo in der Hansestadt die Hauptverantwortliche für die Isolation und Behandlung der Kranken. Bevor sie losgeht, tippt sie auf einen Spruch auf ihrem Rucksack: "Work is not a place anymore".

Die Ebola-Krise war ein Einschnitt

Als Addo 2013 ihre Professur am UKE übernahm, sagte sie unter einer Bedingung zu: Neben der Arbeit im Labor will sie zwei Tage in der Woche mit Patienten verbringen.

Mitte der Neunzigerjahre, Addo studierte Medizin in Bonn und Straßburg, absolvierte sie einen Teil ihrer Ausbildung auf der HIV-Station. Der Erreger war damals kaum bekannt, die Krankheit wurde stigmatisiert. Doch Addo fühlte sich den Betroffenen verbunden, auch wegen ihrer familiären Nähe zu Afrika, wo die Krankheit besonders wütete. Ihr Vater, ebenfalls Mediziner, kommt aus Ghana, bis heute verbringt sie immer wieder Zeit in seiner Heimat und sieht, was durch Impfungen etwa gegen Polio erreicht werden kann: "Nur der Zugang zu sauberem Wasser hat global gesehen eine größere Auswirkung bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten." Da es in Deutschland keine Facharztausbildung für Infektiologie gibt, geht Addo 1999 ans Massachusetts General Hospital in Boston, um über die Immunität gegen Viruserkrankungen, vor allem HIV, zu forschen.

Als sie fünfzehn Jahre später zurückkommt, wird 2014 auf der Sonderisolierstation des UKE der erste Ebola-Patient Deutschlands eingeliefert. Es gibt weder einen Impfstoff noch eine Therapie. Addo und ihr Team behandeln den Mann mit herkömmlichen Mitteln, geben viel Wasser, fiebersenkende Medikamente, Infusionen. Im Krankenzimmer des Mannes hängt das Foto seiner vierjährigen Tochter. Nicht zuletzt der Gedanke an das Kind habe sie bis spät in die Nacht wach gehalten, sagt Addo. Der Mann überlebt, nach 40 Tagen wird er entlassen.

Die Ebola-Krise war ein Einschnitt in der internationalen Seuchenbekämpfung. Erstmals schlossen sich Forscher aus der ganzen Welt zusammen und entwickelten in rasantem Tempo einen Impfstoff weiter. Nur wenige Monate später wird die Vakzine mit dem Namen rVSV-ZEBOV an Menschen getestet. Es ist Marylyn Addo, die die Injektionsnadel mit Flüssigkeit füllt und die Viruspartikel in den Körper des ersten freiwilligen Probanden in Hamburg schickt. Als Leiterin der sogenannten klinischen Phase beobachtet sie, wie sich das Immunsystem mit den Fremdstoffen auseinandersetzt, wie es die typischen Merkmale des Virus abspeichert und sich so wappnet für eine Begegnung mit dem echten Virus. Kurze Zeit später wird der Impfstoff gegen Ebola zugelassen – und kommt bei einem zweiten Ausbruch der tödlichen Krankheit in der Demokratischen Republik Kongo zum Einsatz, wo er weite Teile der Bevölkerung immunisiert.

Eine Erkenntnis jedoch bleibt: Die Weltgemeinschaft war nicht vorbereitet auf den Ebola-Ausbruch. Dabei war der Erreger bereits 1976 in Zaire, nahe dem Ebola-Flüsschen im Norden des Landes, entdeckt worden. Doch die Zahl der Infizierten blieb lange Zeit niedrig, die Krankheit war weit weg, niemand interessierte sich dafür. Ein Fehler, wie die Ebola-Epidemie zeigte. Als Konsequenz wurde auf dem Weltwirtschaftsforum 2017 in Davos die internationale Impfstoff-Allianz CEPI gegründet. Die Idee: Impfstoffe gegen besonders aggressive Viren sollen so weit wie möglich im Labor entwickelt werden – damit sie einsatzbereit sind, wenn eine Epidemie droht.

Einer der neuen Impfstoffe sollte gegen Mers schützen, jene Lungenkrankheit, die erstmals 2012 in Saudi-Arabien ausgebrochen war. Nachdem Forscher die Vakzine erfolgreich an Kamelen getestet hatten, kam sie auch ins Labor von Marylyn Addo. Seit vergangenem Jahr wird der Impfstoff an 24 Freiwilligen in Hamburg getestet. Bei minus 80 Grad Celsius lagern in Addos Labor die kleinen Fläschchen, auf den weißen Etiketten steht "MVA-MERS-S". Das neue Coronavirus verleiht der Flüssigkeit eine besondere Bedeutung: Denn schützt der Stoff gegen Mers, hilft er vielleicht auch gegen andere Coronaviren, vielleicht sogar gegen 2019-nCoV.
dr addo3Prof. Dr. Marylyn Addo receiving the African Community Prize from Edward Martin -TopAfric

Viren sind unberechenbar

Marylyn Addo fährt mit den Händen durch die Luft und fügt unsichtbare Teile zusammen. Ein moderner Impfstoff funktioniere wie ein Set aus Bausteinen, erklärt sie. Tritt ein neues Virus auf, wird meistens nur jene Sequenz aus seinem Erbgut isoliert, welche den Krankheitserreger so gefährlich macht. Diese wird in eine fertige "Impfstoffplattform" eingesetzt.

Im Fall von Mers nutzte das Bernhard-Nocht-Institut als Plattform ein abgeschwächtes Pockenvirus. Dieses ist für den Menschen harmlos, doch so beschaffen, dass das Immunsystem des Geimpften auf den neuen Stoff reagiert. Ist die Impfung erfolgreich, so die Hoffnung, tauscht man den Mers-Baustein gegen eine Gensequenz des neuen Coronavirus aus – und hätte einen Impfstoff gefunden.

Addo hastet in den ersten Stock des Universitätsklinikums zu einer Besprechung mit Kollegen. Auf der Weltkarte, die ein Beamer an die Wand wirft, sieht sie rote Punkte in verschiedenen Größen und die aktuellen Zahlen der Infizierten: Zehntausende in China, aber auch Fälle in Südkorea, Japan, Italien ... Addo geht schnell zur Tagesordnung über. Sie will Ruhe bewahren. Nach den ersten Nachrichten aus China war das nicht einfach. Immer mehr Menschen kamen in die Notaufnahme, die glaubten, sich infiziert zu haben. Mehr als hundert E-Mails gingen jeden Tag bei ihr ein, ihre Mailbox war voller Nachrichten.

Addo klärt auf, beantwortet Fragen, verweist an den ärztlichen Bereitschaftsdienst – und beruhigt die Menschen: Das UKE sei vorbereitet, die Mitarbeiter seien geschult. Sollte Corona in Hamburg auftreten, kommen die Patienten in Isolierzimmer. Hier herrscht Unterdruck, damit die Keime nicht entweichen. Zwölf dieser Spezialzimmer gibt es auf ihrer Station, weitere zwanzig auf der Intensivstation. Sind alle Zimmer belegt, könnten weitere Gebäudeteile abgeriegelt werden.

Menschenmengen meiden und Daheim bleiben

Das neuartige Coronavirus wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Auch Infizierte, die sich noch gesund fühlen, sind bereits ansteckend. Deshalb gilt: Abstand halten zu anderen Menschen. Etwas mehr als ein Meter genügt; kein Händeschütteln, keine Umarmungen zur Begrüßung; große Menschenansammlungen möglichst meiden.

Wer sich schlecht fühlt, sollte zu Hause bleiben. Um seiner selbst willen und um andere zu schützen. Das gilt nicht nur für den Arbeitsplatz: Wer glaubt, er habe sich mit Corona infiziert, sollte erst in der Arztpraxis oder beim Gesundheitsamt anrufen, statt sich einfach ins volle Wartezimmer zu zwängen.

Sollte es so weit kommen, wird Addo Atemschutzmaske, Schutzkittel und Handschuhe überstreifen und wieder nur die Symptome mit den altbekannten Mitteln bekämpfen, wie anfangs bei Ebola. Schwer Erkrankte könnten auch mit experimentellen Therapien behandelt werden, mit HIV-Medikamenten wie Ritonavir oder Norvir. Oder mit Remdesivir, einem Medikament, das eigentlich gegen Ebola-Viren entwickelt wurde.

Einen Impfstoff wird es noch nicht geben, wenn der erste Patient bei ihr eingeliefert wird. Trotzdem ist die Arbeit im Labor wichtig. Addo weiß aus Erfahrung: Viren sind unberechenbar, sie können jederzeit auftreten oder nach Jahren wiederkommen. Eine Vakzine wird den Ausbruch nicht stoppen, aber sie kann helfen, die Krankheit wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Impfstoff-Baukasten muss vorbereitet sein
Prof. Dr. med. Marylyn M. Addo 2Prof. Dr. Marylyn Addo was awarded the African Community Prize in 2019 by TopAfric

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